Bildschirmtext (BTX)
"Fernsehgerät und Telefon erfreuten sich eine Zeit lang bester Zusammenarbeit"
Die Geschichte des deutschen Systems "Bildschirmtext" begann in den Labors der britischen Post in Suffolk als "Viewdata", welches ab 1968 unter der Leitung des dortigen Ingenieurs Samuel "Sam" Fedida (*1918 †2007) entwickelt wurde. Grundlage der Idee war die Tatsache, dass ein Großteil der Haushalte schon damals über ein Fernsehgerät und ein Telefon verfügte. So lag es nahe, beide Systeme miteinander zu verbinden. Daten konnten über ein "Modem" von einem zentralen Server via Telefonleitung übermittelt werden und das Fernsehgerät stellte diese auf dem Bildschirm dar. Soweit war die Idee nichts Besonderes. Das wirklich Neue aber war, dass es dem Teilnehmer nun möglich wurde, mittels einer Tastatur eigene Eingaben zurück zum Server zu schicken. Das ganze funktionierte also bidirektional und erinnerte schon in der Anfangsphase stark an das erst mit Beginn der 1990er Jahre ins Leben gerufene 'World Wide Web'. Die technische Umsetzung war, bezogen auf die damalige Zeit und die verfügbare Mikroelektronik, für die Ingenieure eine enorme Herausforderung.
Nachdem in England die Entwicklungsarbeit in 1974 weitgehend abgeschlossen war, hat man das System 1979 unter dem Kunstwort "PRESTEL" (engl. für Presse + Telefon) dort auch offiziell eingeführt. Anlässlich der Münchener Messe "electronica" wurde es schon im Jahre 1977 auch in Deutschland einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt. Auf dem Bildschirm konnten in 24 Zeilen je 40 Zeichen dargestellt werden. Schon im Jahr darauf stellte die Deutsche Bundespost auf der Berliner Funkausstellung das seit 1975 von Eric Danke (*1940 †2024) auf der Grundlage von "PRESTEL" weiterentwickelte System als "Bildschirmtext" (kurz: BTX) vor. Ziel war nun dessen zeitnahe Einführung in der Bundesrepublik Deutschland. Nach der Umstellung vom PRESTEL-Standard (CEPT3) auf den CEPT1-Standard (nach CEPT-Empfehlung T/CD6-1) konnten schließlich auch farbige Grafiken mit einer Auflösung von 480 x 240 Bildpunkten verarbeitet werden.
Im Jahre 1980 ordnete man aber vonseiten der Politik erst einmal eine dreijährige Versuchsphase an. Dabei sollten nur knapp 6.000 Teilnehmer das System BTX in Berlin und Düsseldorf+Neuss vorab erproben können. Die Gründe für diesen ungewöhnlich langen Zeitraum mögen in der komplexen und daher noch unfertigen Hard- und Software der ausführenden Firma IBM gelegen haben, denn die finale Fertigstellung konnte erst im Juni 1984 vermeldet werden. Auf der anderen Seite spielten wohl auch die Vorbehalte der Politiker bezüglich einem Entgleiten, infolge der schwer kontrollierbaren Inhalte des neuen Mediums, eine nicht unwesentliche Rolle.
[Anmerkung: Stellt man das ganze allerdings in Relation zu der Situation, wie sie sich im 'Internet' unserer Tage darstellt, so wären die damaligen Bedenken wohl eher als harmlos einzustufen.]
Schließlich einigte man sich auf den Kompromiss, dass BTX (ähnlich wie einst die Radioprogramme) in die Verantwortung der Länder fallen sollte. Die Deutsche Bundespost übernahm jetzt zähneknirschend allein die Rolle des Netzbetreibers und musste per Gesetz ungesehen jeden Seitenanbieter (auch einen bekanntermaßen fragwürdigen) im System akzeptieren. Diese Entscheidung von Politik und Gerichten sollte bereits zu einem frühen Zeitpunkt das 'Schmuddelimage', überteuerte Seitenaufrufe und damit langfristig den Todesstoß von BTX einläuten.
Das 'Multitel-12', ein Monochrome-Gerät von Siemens (dort hieß es "Bitel") verfügte nur über recht kleine Tasten.
Die bundesweite Einführung von BTX
Im September 1983 wurde der interaktive Bildschirmtext, mit zum Teil eiligst angepassten Komponenten aus dem britischen PRESTEL-System, auch in der Bundesrepublik Deutschland eingeführt. Im Auftrage der Bundespost stellte die deutsche Industrie bereits neben einer Tastatur, zum Anschluss an den BTX-Decoder (die Tastatur gab es auch als kabellose Infrarot-Ausführung), eine Reihe autarker Terminals her, die über einen internen BTX-Decoder, eine fest eingebaute Tastatur und einen eigenen Bildschirm (zunächst nur monochrome, ab 1986 auch in Farbe) verfügten.
Auf die Teilnehmer kamen mit der BTX-Installation hohe Kosten zu. Ein BTX-Decoder im/am Fernsehgerät, der in den Anfängen nur von Loewe und Blaupunkt produziert wurde, konnte mit nahezu 2.000.- DM zu Buche schlagen. Zudem waren die monatliche Grundgebühr plus unterschiedlich hohe Gebühren, von einigen Pfennigen bis zu horrenden 9,99.- DM, für jede aufgerufene Seite fällig. Für das in jedem Falle benötigte externe Modem (D-BT-03) gab es keine Kaufoption. Es musste von der Bundespost für 8.- DM monatl. gemietet und nach Auslaufen des Vertrages zurückgegeben werden. Darauf wurde meist streng geachtet, denn dieses enthielt (gespeichert in einem ePROM) auch die teilnehmerbezogenen Anschlussparameter. Die Terminals hingegen konnten zu hohen Einmalkosten gekauft werden. Aber gerade aus diesem Grund wurden sie in der Regel vom Teilnehmer nur gemietet, was sich allerdings bei den komfortablen Farbterminals, wie z.B. dem 'Multitel-21' (Foto unten) mit 78.- DM Monatsmiete auch nicht gerade als preiswertes Unterfangen darstellte. Weitere monatliche Rechnungsposten waren entweder noch ein Doppelanschluss (sofern man unter einer anderen Rufnummer gleichzeitig telefonieren wollte) oder zumindest ein automatischer Umschalter. Vor diesem Hintergrund konnte mit dem monatlichen Erhalt der Telefonrechnung, jedenfalls bei unaufmerksamer BTX-Nutzung, ein böses Erwachen folgen.
In Frankreich z.B. gab es ab 1982 ein auf dem Standard CEPT2 basierendes System (TELETEL), dessen "Minitel"-Terminals von der dortigen Fernmeldeverwaltung stets kostenlos gestellt wurden. Die Folge war, dass sich um das Jahr 2000 bereits an die 9 Millionen "Minitel"-Geräte im Einsatz befanden. Zum Vergleich: In Deutschland gab es drei Jahre nach der Einführung von BTX nur etwa 60.000 Nutzer, wobei allerdings die anderen europäischen Fernmeldeverwaltungen (Frankreich ausgenommen) eine ähnlich schwache Resonanz verzeichneten.
Von Loewe stammte das erste Farbterminal FeAp 90-2 'Multitel-21'. Tastatur/Hörer und Monitor waren je eigenständig. Die Kosten eines solchen Gerätes betrugen bei dessen Einführung 1986 für die Deutsche Bundespost knapp 4.200.- DM.
Trotzdem gab es eine verhaltene Euphorie, denn das öffentlich zugängliche Internet war erst ab 1991 verfügbar und BTX, als ein in sich geschlossenes System, galt in den Anfängen insbesondere beim Online-Banking als besonders sicher. Dummerweise konnten sich Mitte November 1984 Mitglieder des Hamburger 'Chaos Computer Clubs' via BTX in das System der Hamburger Sparkasse einwählen und diese um 134.694,70.- DM erleichtern. Das Geld wurde natürlich sofort zurückerstattet, denn die Aktion sollte der Öffentlichkeit lediglich die Sicherheitslücken vor Augen führen. So hatte BTX schon den ersten großen 'Knacks weg' und ein weiterer sollte bald folgen: Wurde das System in den Anfängen noch ausschließlich von seriösen Nachrichtendiensten, diversen Behörden, der Börse, der Bundesbahn, der Lufthansa sowie einigen Kaufhäusern frequentiert, so trug es mit dem späteren aggressiven Hineingrätschen der Pornoindustrie, bei der Bevölkerung eher zum 'Naserümpfen' bei. Dieses zweifelhafte Image sollte BTX bis zu seinem Ende auch nicht mehr loswerden. BTX-Auftritte von Einzelpersonen gab es, aufgrund der hohen Providerkosten und des geringen Nutzens, so gut wie nicht.
BTX wird schließlich vom weltweit prosperierenden 'Internet' überrollt
Nach hohen finanziellen Verlusten (die lukrative Gebühr für die aufgerufenen Seiten erhielt ja nur der Seitenbetreiber) zog die Bundespost 1993 schließlich die Reißleine, erneuerte bis zum Jahresende nahezu das gesamte System und gab diesem auch einen neu geschaffenen Namen: "Datex-J" (das J sollte für 'Jedermann' stehen). Zudem wurde die sukzessive Koppelung an das Internet eingeführt, was auch den eMail-Verkehr ermöglichte. "Datex-J" wurde 1995 in einem weiteren Schritt zu "T-Online", wo BTX-Initiator Eric Danke inzwischen zum Technik-Vorstand avancierte. Mit der jetzt nahezu vollständigen Internetanbindung stiegen die Teilnehmerzahlen innerhalb kürzester Zeit. Im Jahre 1997 zählte T-Online schon 1,4 Millionen Nutzer, die nun nicht mehr im Netz umhersuchen mussten, sondern mit dem neuen 'Netscape Navigator' die gewünschten Seiten gezielt finden konnten.
Die Firma Loewe produrzierte auch das Monochrome-Terminal 'Multitel-D', welches schon beinahe wie ein PC aussieht.
In der Folge starb BTX einen von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkten, schleichenden Tod. Als Bestandteil von "Datex-J" konnten einige Bereiche im Hintergrund weiterhin überleben. Die Bundespost hatte aber mit der Abrechnung der aufgerufenen Seiten über die Telefonrechnung stets eine schwere Bürde zu tragen. Ende Dezember 2001 wurden schließlich auch die verbliebenen Bereiche vom Netz genommen, nicht zuletzt, um dem immerwährenden Ärger mit dem Inkasso endgültig ein Ende zu bereiten. Aber selbst danach war BTX noch nicht vollständig verschwunden. Als abgeschottete Nische für Bankgeschäfte wurde es bis zum Mai 2007 noch halbherzig in Betrieb gehalten. Es waren vor allem die Banken, die es infolge der Unabhängigkeit vom sicherheitskritischen Internet noch nicht so schnell aufgeben wollten. Die übrigen 17 ähnlich gearteten Datendienste anderer europoäischer Staaten waren schon zwischen 2000 und 2001 konsequent abgeschaltet worden. Die Seiten von deren Kunden hatten diese längst ins reichweitenstarke und weit kostengünstigere 'Internet' migriert. Einzig in Frankreich hielt sich das dort auch wirtschaftlich überaus erfolgreiche Minitel-System noch bis zum Juni 2012.
[Anmerkung: BTX darf nicht mit "Videotext" (auch "Teletext" genannt) verwechselt werden. Letzteres wurde 1974 erstmals spezifiziert. Es wird noch immer von den Fernsehanstalten produziert und überträgt den Inhalt vieler hundert Seiten nacheinander in der (normalerweise unsichtbaren) Bildaustastlücke des Fernsehbildes. Viel genutzte Seiten werden häufiger übertragen. Bis zur Anzeige einer eher selten genutzten Seite konnte es also durchaus etwas länger dauern. Um die Zugriffszeiten zu reduzieren, können heutige TV-Geräte den kompletten Inhalt hunderter Seiten auch zwischenspeichern. Diese können dann über die Fernbedienung sehr viel schneller aus dem Speicher angewählt und gelesen werden. Aber das System funktioniert nur unidirektional. Nachrichten vom Teilnehmer zur Redaktion können nicht übertragen werden. "Videotext" ist heute nahezu in jedem Fernsehgerät verfügbar, sodass dessen eigens herausgestellte Bewerbung nicht mehr stattfindet. Trotz der archaisch anmutenden ASCII-Zeichen ("Klötzchengrafik"), hat es noch immer seine Liebhaber.]
Mit Beginn der Saison 2025 werden wir Ihnen in unserem Museum anhand einiger repräsentativer Exponate/Terminals auch die Geschichte von BTX näherbringen können.
© Text und Bilder: Bodo Krüger (9/2024) BTX-Logo: Deutsche Bundespost