Bildschirmtext  (BTX)

"Fernsehgerät und Telefon erfreuten sich eine Zeit lang bester Zusammenarbeit"

BTX-Logo

Die Geschichte des deutschen Systems "Bildschirmtext" begann in einem Labor der britischen Post in Suffolk als "Viewdata", welches ab 1972 unter der Leitung des dortigen Ingenieurs Samuel "Sam" Fedida  (*1918 †2007) entwickelt wurde. In England verfügten zu dieser Zeit 95% aller Haushalte über ein Fernsehgerät und immerhin 60% über ein Telefon. So lag es nahe, beide Systeme miteinander zu verbinden. Computergenerierte Texte konnten von einem zentralen Server via Telefonleitung übermittelt werden und das Fernsehgerät stellte diese über ein "Modem" und einen nachgeschalteten BTX-Decoder auf dem Bildschirm dar. Soweit war die Idee nichts Herausragendes. Das wirklich Neue aber war, dass es dem Teilnehmer nun möglich wurde, mittels einer Tastatur eigene Eingaben zurück zum Server zu schicken. Das ganze funktionierte also bidirektional und erinnerte schon in der Anfangsphase stark an das erst ab August 1991 ins Leben gerufene, Internet-basierte 'World Wide Web'. Wenngleich sich die Datenübertragungsraten (1.200 Bit/s im Download und 75 Bit/s im Upload) noch fernab heutiger Geschwindigkeiten bewegten, so war die technische Umsetzung − bezogen auf die Zeit und die Leistungsfähigkeit der verfügbaren Mikroelektronik − für die Ingenieure eine große Herausforderung. Zunächst war es einzig die Philips-Tochter Valvo, die sich an die Entwicklung der benötigten hochintegrierten Schaltkreise herantraute.

Nachdem in England die Entwicklungsarbeit 1974 und die anschließende Felderprobung weitestgehend abgeschlossen waren, hat man das System im September 1979 unter dem Namen "PRESTEL" (engl. für Presse + Telefon) dort landesweit in Betrieb genommen. Schon im August 1977, anlässlich der "31. Internationalen Funkausstellung" in Berlin, sowie der Münchener Messe "electronica", die im November desselben Jahres stattfand, hatte man es − seinerzeit allerdings noch unter der Bezeichnung "Viewdata" − auch in Deutschland einer breiten Öffentlichkeit präsentiert. Auf dem TV-Bildschirm konnten in 24 Zeilen je 40 Zeichen dargestellt werden. Im August 1979 präsentierte die Deutsche Bundespost auf der "32. Internationalen Funkausstellung" schließlich das seit 1975 federführend von Eric Danke (*1940 †2024) auf der Grundlage von "PRESTEL" weiterentwickelte System als "Bildschirmtext", kurz: BTX. Nach der Umstellung vom PRESTEL-Profil (nach späterer CEPT-Standardisierung T/CD06-01 = CEPT3) auf das BTX-Profil (nach späterer CEPT-Standardisierung T/CD06-01 = CEPT1) konnten nun auch farbige Grafiken (zeitgleich aber nur 32 Farben von theoretisch möglichen 4096) mit einer Auflösung von 480x250 Bildpunkten verarbeitet werden. Die vom Teilnehmer angeforderte Seite wurde im Anschluss genau einmal übertragen und in den Bildspeicher des BTX-Decoders eingelesen. Ein Bildwandler sorgte nun dafür, dass die digitalen Daten zu einem normalen Fernsehbild konvertiert wurden. Das Auslesen des Bildspeichers und die anschließende Konvertierung mussten nun in jeder Sekunde 50 Mal wiederholt werden, damit ein ruhiges Fernsehbild entstehen konnte. Diese technische Lösung verbot leider, dass der Bildinhalt auch gescrollt werden konnte.

Erste angeworbene Seitenbetreiber, und nicht zuletzt die Deutsche Bundespost selber, waren von der Zukunftsfähigkeit des BTX-Systems vielleicht etwas zu sehr überzeugt. Nunmehr wurde die möglichst schnelle flächendeckende Einführung in der Bundesrepublik Deutschland anvisiert, doch es sollte anders kommen.

Zunächst einmal musste ein kompetentes Unternehmen zum Aufbau der deutschlandweiten BTX-Infrastruktur gefunden werden. Dann ordnete man vonseiten der Politik eine dreijährige Versuchsphase an, die im Juni 1980 beginnen sollte. Insgesamt waren rund 6.000 Teilnehmer für den Feldversuch in Berlin und Düsseldorf + Neuss vorgesehen, um das System BTX vorab zu erproben. Real war die Zahl der Anschlüsse jedoch geringer. Die Gründe für den ungewöhnlich langen Testzeitraum mögen in der komplexen und daher noch unfertigen Hard- und Software der nunmehr mit dem Aufbau beauftragten Firma IBM gelegen haben. Hinzu kamen Vorbehalte einiger Politiker, bezüglich einem Untergraben des Medienrechts, infolge eventuell juristisch bedenklicher Inhalte. Immerhin stellte die Verknüpfung von Individualkommunikation mit medienrechtlich relevanten Texten seinerzeit für alle Beteiligten Neuland dar.

[Anmerkung: Stellt man das ganze allerdings in Relation zu der Situation, wie sie sich im 'World Wide Web' unserer Tage darstellt, so wären die damaligen Bedenken wohl eher als harmlos einzustufen.]

BTX-Terminal monochrom

Am Ende einigte man sich auf den Kompromiss, dass der BTX-Inhalt (ähnlich wie bereits die Radioprogramme) in die Verant-wortung der Bundesländer fallen sollte. Die Bundespost übernahm jetzt zähneknirschend allein die Rolle des Netzbetreibers und musste per Gesetz ungesehen jeden Seitenanbieter, auch einen bekanntermaßen fragwürdigen, im System akzeptieren. Diese Entscheidung von Politikern und Juristen sollte bereits zu einem frühen Zeitpunkt ein schlechtes Image, überteuerte Seitenaufrufe und damit langfristig den Todesstoß von BTX einläuten.

Das 'Multitel-12', ein Monochrome-Gerät von Siemens (dort hieß es "Bitel") verfügte nur über recht kleine Tasten.

 

Die bundesweite Einführung von BTX

Allen Widrigkeiten zum Trotz, wurde BTX offiziell im September 1983 − mittels teilweise nur angepassten Komponenten aus dem britischen PRESTEL System − in der Bundesrepublik Deutschland eingeführt. Tatsächlich konnte die vollumfängliche Öffnung der Server für alle Seitenanbieter aber erst ab März 1984 stattfinden. Die deutsche Industrie, allen voran die Firmen Loewe (Kronach) und Siemens (München),  fertigten die notwendigen Modems und BTX-Decoder, einschließlich der Tastaturen, die es später auch als kabellose Infrarot-Ausführung gab. Sie stellten auch eine Reihe autarker Terminals her, die über einen internen BTX-Decoder, eine fest eingebaute Tastatur und einen eigenen Monochrome-Bildschirm verfügten. Ende 1986 folgten schließlich die ersten besonders komfortabel ausgestatteten Geräte mit 10"-Farbbildröhre und einem wesentlich erweiterten Seitenspeicher. Zusatzgeräte, wie ein kleiner systemspezifischer Farbdrucker (z.B. der PBT 03 von Loewe), waren nun ebenfalls erhältlich.

Auf die Teilnehmer kamen mit der BTX-Installation hohe Kosten zu, wobei die 55.-DM Anschlussgebühr als Einmalkosten noch eher moderat waren. Ein Fernsehgerät mit BTX-Decoder, der zunächst nur von Blaupunkt (Hildesheim), hier jedoch für stolze 14.000.-DM, später auch von  Loewe (Kronach) für ca. 3.000.-DM erhältlich war, konnte in den Anfängen schon erheblich zu Buche schlagen. Auch waren neben den Telefongebühren (Ortstarif) unterschiedlich hohe Gebühren für jede aufgerufene Seite fällig. Die von den Seitenbetreibern genutzte Spanne reichte dabei von einigen Pfennigen bis hin zu horrenden 9,99.-DM. Für das in jedem Falle benötigte externe Modem (DBT-03) gab es keine Kaufoption − es war die 'versteckte' Grundgebühr. Das Gerät musste von der Bundespost für 8.-DM monatl. gemietet und stets nach Auslaufen des Vertrages zurückgegeben werden. Darauf wurde immer streng geachtet, denn dieses enthielt (gespeichert in einem ePROM) die teilnehmerbezogenen Anschlussparameter. Die Terminals konnten hingegen auch zu hohen Einmalkosten gekauft werden. Aus diesem Grund wurden sie aber in der Regel vom Teilnehmer nur gemietet, was sich allerdings bei den komfortablen Farbterminals, wie z.B. dem 'Multitel-21' (Foto unten), mit 78.-DM Monatsmiete auch nicht gerade als preiswertes Unterfangen darstellte. Weitere monatliche Rechnungsposten waren entweder noch ein Doppelanschluss, sofern man unter einer anderen Rufnummer zeitgleich telefonieren wollte (was relativ häufig vorkam) oder, sofern es nur eine einzige Rufnummer gab, ein kostengünstigerer automatischer Wechselschalter der, sofern nicht schon im BTX-Terminal eingebaut, mit monatlich 1,20.-DM berechnet wurde.

Im Jahre 1984 lag das durchschnittliche Netto-Monatseinkommen bei etwa 1.600.-DM. Vor diesem Hintergrund konnte in einem normalen Privathaushalt, zumindest bei unaufmerksamer exzessiver BTX-Nutzung (immerhin wurden die Kosten für den Seitenaufruf auf dem Bildschirm angezeigt), mit dem Erhalt der ersten Telefonrechnung ein böses Erwachen folgen.

In anderen Ländern wurden auch alternative Gebührenmodelle eingeführt. In Teilen Frankreichs z.B. gab es bereits ab Juli 1980 das auf dem Standard CEPT2 basierende System TELETEL, dessen "Minitel"-Terminals von der dortigen Fernmeldeverwaltung stets kostenlos gestellt wurden. Die Folge war, dass sich um das Jahr 1988 in ganz Frankreich bereits an die 4 Millionen "Minitel"-Geräte im Einsatz befanden, mit stark steigender Tendenz. Zum Vergleich: In Deutschland wurde im selben Jahr stolz der einhunderttausendste BTX-Nutzer vermeldet und gegen Ende der Betriebszeit (da standen die verbliebenen BTX-Reste schon unter der Ägide von 'T-Online' / s.u.) waren es nur etwa  850.000. Die anderen europäischen Fernmeldeverwaltungen (Frankreich ausgenommen) verzeichneten allerdings eine ähnlich schwache Resonanz. Selbst beim PRESTEL-Pionier British Telecom wurden, über alle Betriebsjahre gerechnet, nicht einmal 100.000 Anschlüsse erreicht.

Von Loewe stammte das erste Farbterminal FeAp90-2 / 'Multitel-21'. Tastatur/Hörer und Monitor waren je eigenständig. Die Kosten für ein solches Gerät betrugen bei dessen Einführung 1986 für die Deutsche Bundespost knapp 4.200.- DM.

Loewe-Terminal Farbe

Trotzdem herrschte eine verhaltene Euphorie, denn das HTML-basierte 'World Wide Web' gab es zwar schon im August 1991, es war aber erst Ende April 1993 in vollem Umfang für alle nutzbar. BTX, als ein in sich geschlossenes System, galt in den Anfängen insbesondere beim Online-Banking als besonders sicher. Dummerweise konnten sich Mitte November 1984 einige Mitglieder des Hamburger 'Chaos Computer Clubs' via BTX in das System der Hamburger Sparkasse einwählen und diese um 134.694,70.-DM erleichtern. Das Geld wurde natürlich sofort zurückerstattet, denn die Aktion sollte der Öffentlichkeit lediglich die Sicherheitslücken vor Augen führen. So hatte BTX schon den ersten großen 'Knacks weg' und ein weiterer sollte bald folgen: Wurde das System in den Anfängen noch ausschließlich von seriösen Nachrichtendiensten, diversen Behörden, der Börse, der Bundesbahn, der Lufthansa sowie einigen Kaufhäusern frequentiert so trug es, mit dem späteren aggressiven Hineingrätschen der Pornoindustrie, bei großen Teilen der Bevölkerung eher zum Naserümpfen bei. Dieses zweifelhafte Image sollte BTX bis zu seinem Ende auch nicht mehr loswerden. BTX-Auftritte von Einzelpersonen gab es, aufgrund der hohen Serverkosten und des Non-Profit-Charakters, so gut wie gar nicht.

 

BTX wird schließlich vom weltweit prosperierenden 'Internet' überrollt

BTX-Terminal monochrom

Zwar erhielt die Deutsche Bundespost enorme Servermieten, die lukrativen Gebühren für die aufgerufenen Seiten erhielten jedoch die Seitenbetreiber. Nach hohen finanziellen Verlusten (man sprach von mehr als einer Milliarde DM) zog die Bundespost in 1993 die Reißleine, erneuerte bis zum Jahresende nahezu das gesamte System und gab diesem auch gleich einen neu geschaffenen Namen: "Datex-J" (das J sollte für 'Jedermann' stehen). Zudem wurde die sukzessive Koppelung an das Internet eingeführt, was auch den von vielen Teilnehmern ersehnten eMail-Verkehr ermöglichte. "Datex-J" wurde schließlich im September 1995 zu "T-Online", wo BTX-Initiator Eric Danke inzwischen zum Technik-Vorstand aufgestiegen war. Mit der nur wenig später nahezu vollständigen Einbindung des 'World Wide Web' ließen sich jetzt auch alle HTML-basierten Webseiten aufrufen und die Teilnehmerzahlen stiegen binnen kürzester Zeit rasant. Im Jahre 1997 zählte "T-Online" schon 1,4 Millionen Nutzer, die nun nicht mehr lange im Netz umhersuchen mussten; sie konnten mit dem nunmehr eingeführten 'Netscape Navigator' eine gewünschte Seite auch sehr schnell finden.

Die Firma Loewe produzierte auch das Monochrome-Terminal 'Multitel-D', welches schon beinahe wie ein PC aussieht.

In der Folge starb BTX einen von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkten, schleichenden Tod. Als Bestandteil von "Datex-J" konnten ein paar Fragmente im Hintergrund weiterhin überleben. Die Bundespost hatte aber mit der Abrechnung der aufgerufenen Seiten über die Telefonrechnung stets eine schwere Bürde zu tragen. Ende Dezember 2001 wurden schließlich auch die verbliebenen Bereiche vom Netz genommen, was nicht zuletzt passierte, um dem immerwährenden Ärger mit dem Inkasso endgültig ein Ende zu bereiten. Aber selbst danach war BTX noch nicht vollständig verschwunden. Als abgeschottete Nische für Bankgeschäfte wurde es bis zum Mai 2007 noch eher halbherzig in Betrieb gehalten. Es waren vor allem die Banken, die es infolge der Unabhängigkeit vom sicherheitskritischen 'Internet' noch nicht so schnell aufgeben wollten. Die übrigen 17 ähnlich gearteten Datendienste anderer europoäischer Staaten waren (weitgehend aus identischen Gründen) schon zwischen 1994 (PRESTEL) und 2001 konsequent abgeschaltet worden. Die Auftritte von deren Kunden hatten diese längst im HTML-Code verfassen lassen und ins reichweitenstarke, leistungsfähigere und weit kostengünstigere 'World Wide Web' migriert. Einzig in Frankreich hielt sich das dort auch wirtschaftlich überaus erfolgreiche TELETEL-System noch bis zum Juni 2012.

 

 

[Anmerkung: BTX wird gerne mit "Videotext" (auch "Teletext" genannt) verwechselt. Letzteres wurde 1974 erstmals spezifiziert und anlässlich der 31. Internationalen Funkausstellung 1977 eingeführt. Schon häufiger totgesagt, wird es noch immer von den meisten Fernsehanstalten produziert und überträgt den Inhalt vieler hundert Seiten nacheinander in der sog. 'vertikalen Bildaustastlücke', die sich im unsichtbaren Teil des Fernsehbildes befindet. Viel genutzte Seiten werden häufiger übertragen. Bis zur Anzeige einer eher selten genutzten Seite konnte es also durchaus etwas länger dauern. Um die Zugriffszeiten zu reduzieren, können heutige TV-Geräte den kompletten Inhalt hunderter Seiten auch zwischenspeichern. Diese können dann über die Fernbedienung sehr viel schneller aus dem Speicher angewählt und gelesen werden. Aber das System funktioniert nur unidirektional. Nachrichten vom Teilnehmer zur Redaktion können nicht übertragen werden. "Videotext" ist heute nahezu in jedem Fernsehgerät verfügbar, sodass dessen eigens herausgestellte Bewerbung nicht mehr stattfindet. Trotz der archaisch anmutenden ASCII-Zeichen ("Klötzchengrafik"), hat es noch immer seine Liebhaber.]

 

Mit Beginn der Saison 2025 werden wir Ihnen in unserem Museum anhand einiger repräsentativer Exponate/Terminals auch die Geschichte von BTX näherbringen können.

 

© Text und Bilder:  Bodo Krüger (9/2024)  BTX-Logo: Deutsche Bundespost


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