Der Flügeltelegraf der "Königlich-Preußischen optischen Telegraphenlinie"         ('Semaphor')

"Am Anfang war alles nur Telegraphie"

Nach dem Wiener Kongress 1814/15 wurde Europa neu eingeteilt und zum Königreich Preußen gehörten nun auch die Rheinprovinzen. Da der Preußenkönig stets daran interessiert war, was in seinen Provinzen geschah, wurde ab 1830 eine Telegrafenlinie von Berlin/Potsdam nach Koblenz und Köln aufgebaut. Die 61 Stationen (plus der erst 1842 nachträglich eingefügten Station 24a) bestanden meist aus einem Wohnhaus für die beiden Telegrafisten (die es häufig mit ihren Familien bewohnten) und einem Turm, der den bis zu sieben Meter hohen Mast mit den 1,74 m langen Flügeln trug. Vorbild für den hiesigen Flügeltelegrafen war der "Tachygraf" des technikaffinen französischen Geistlichen Claude Chappe (*1763 1805), den er ab 1791 entwickelt und in Frankreich bereits installiert hatte.

Bild vom FlügeltelegrafenWährend damit aber nur 196 Zeichen übertragen werden konnten, ließen sich mit den möglichen Stellungen des Flügeltelegrafen theoretisch 4096 Zeichen darstellen. Von 1832 bis 1846 diente die "Königlich-Preußische optische Telegraphenlinie" ausschließlich militärischen Zwecken. Die Bedeutung der verschiedenen Flügelstellungen war daher chiffriert und durfte nur den Anfangs- und Endstationen bekannt sein. Diese besaßen geheime Wörterbücher, die heute aber sämtlich als verschollen gelten. Das einzige bei der 'Museumsstiftung' noch im Original erhaltene "Wörterbuch für die Telegraphisten Correspondenz" enthält nur 2350 Zeichen. Neben Floskeln geringer Geheimhaltungsstufe finden sich noch Hilfsverben, Orts- und Flussnamen, Personennamen und Titel, Werkzeuge, Materialien, Monate, Wochentage und Stunden.

Unser Modell zeigt die Station 28 auf dem Burgberg bei Warbsen (heute zu Golmbach), Landkreis Holzminden a.d. Weser, welches damals zum Herzogtum Braunschweig gehörte. Das Wohnhaus für die Telegrafisten beherbergte nach 1852 noch eine Gaststätte, inzwischen hat man es abgerissen. Der 14m hohe Turm steht hingegen restauriert, nur ohne den charakteristischen Mast, bis heute.
In Neuwegersleben und Köln-Flittard sind z.B. noch komplett restaurierte Stationen zu besichtigen.

Erstmals durchlief eine Nachricht die gesamte 588 km lange Strecke von Berlin bis Koblenz am 11. Juli 1834. Die Transferdauer wurde mit 1,5 Stunden dokumentiert. Unter besten meteorologischen Voraussetzungen ist auf der selben Strecke im Jahre 1836 ein Manöverbericht, bestehend aus 90 Worten, mit nur 42 Minuten Laufzeit verzeichnet. Wenn auch einige der gemeldeten Übertragungszeiten mit Recht als 'geschönt' angesehen werden dürfen, so hatte man durchaus auch Erfolge aufzuweisen. In der Praxis waren diese aber stets von der Tageszeit sowie von meteorologischen Bedingungen abhängig, die man nicht beeinflussen konnte. Die Telegrafisten wurden daher angewiesen, die Nachrichten so kurz wie möglich abzufassen. Dieser Umstand erzeugte manchmal einen gewissen Interpretationsbedarf beim Dechiffrieren. Nur so war es aber möglich, die Übertragung z.B. einer 50 Worte umfassenden Depesche, von Paris nach Berlin in nur 30 Stunden (Chiffrier- und Dechiffrierzeiten eingerechnet) zu absolvieren. Von Paris nach Metz wurde der französische "Tachygraf" verwendet. Dann wurde die Nachricht dechiffriert, um sie von reitenden Boten via Saarbrücken nach Koblenz weiterzutragen. Nachdem sie hier erneut chiffriert wurde, konnten die Telegrafisten der "Königlich-Preußischen optische Telegraphenlinie" sie schließlich weiter nach Berlin übermitteln.

Nach der erfolgreichen Einführung der elektromagnetischen Telegrafie (siehe Menüpunkt: Morse-Apparate) wurde die personalintensive optische Telegrafenlinie am 12. Oktober 1852 wieder eingestellt und in den Folgejahren der größte Teil der Stationsgebäude um- oder zurückgebaut. Bis zu diesem Zeitpunkt war es die längste Telegrafiestrecke Europas.

© Text:  Rudolf Auel (2017) und Bodo Krüger (2023/24) / Bild:  Rudolf Auel (vor 2010)


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