Die Vermittlungstechnik

"Bringt die Menschen zueinander"

Vermittlung wird immer dann benötigt, wenn Kommunikationsverbindungen zu verschiedenen Zeiten mit wechselnden Teilnehmern zustande kommen müssen.

Während eine Punkt zu Punkt Verbindung in den Anfängen nur auf Anfrage und manuell getätigt wurde,  wird seit mehr als 100 Jahren (und heute ausschließlich) die vollautomatisierte Vermittlung durch den Teilnehmer durchgeführt, die er mittels Nummernschalter (Wählscheibe) bzw. dem seit Anfang 1977 eingesetzten Drucktastenfeld, selbst einleitet. 

Unsere Sammlung zur Vermittlungstechnik beginnt mit der Handvermittlung, die es im zivilen Bereich Westdeutschlands bis Ende April 1966 gab. Bedingt durch den Ortsbatterie-Betrieb der Feldtelefone gab es für militärische Belange aber noch eine Handvermittlung bis weit in die 1990er Jahre hinein. In den neuen Bundesländern war zumindest die manuelle Fernvermittlung erst ab 2003 endgültig Geschichte (siehe auch den Menüpunkt: 'Uetze 1966'). Die rund 11.000 Teilnehmer der Mobilfunknetze 'A1' und 'A2' (zunächst als 'Zugpostfunk', ab 1958 auch als Autotelefon) konnten über die gesamte Laufzeit von 1955 bis 1977 ebenfalls nur handvermittelt werden. Im Festnetz hingegen war bereits jahrzehntelang die elektromechanisch aufgebaute (analoge) Vermittlung üblich. Das erste derart aufgebaute "Selbstanschluss-Amt" Europas war schon im Juli 1908 in Hildesheim in Betrieb genommen worden. Die Verbindung in ein anderes Ortsnetz (Fernverkehr) musste aber auch von dort aus über viele weitere Jahre per Handvermittlung getätigt werden.

Im Mai 1923 war es erstmals von Weilheim (Bayern) aus möglich, fünf weitere Ortsnetze im Selbstwähl-Fernverkehr zu erreichen. Hier fanden die von Frank Lundquist sowie den Brüdern John Erickson und Charles Erickson (alle Ingenieure bei der 'Strowger Company') weiterentwickelten und in 1895 unter eigenem Namen zum Patent angemeldeten Hebdrehwähler Verwendung. Sie wurden schon ab 1900 anlässlich eines Feldversuchs in Berlin erprobt und sind auch Bestandteil unserer Ausstellung. Einen noch recht unvollkommenen Vorläufer ließ sich der Firmengründer Almon Brown Strowger (*1839 †1902) bereits 1889 patentieren. Auch wenn man heute gerne vom "Strowger-Wähler" spricht, so verkaufte dieser die Anteile der von ihm aufgebauten und inzwischen umbenannten Firma bereits 1898. Er ging wieder seinem angestammten Beruf als Bestattungsunternehmer nach und war an den Arbeiten zur verbesserten Praxistauglichkeit fortan nicht mehr beteiligt.

                 Das nebenstehende Foto zeigt eine verbesserte Variante des Hebdrehwählers (HDW)

In Westdeutschland arbeiten seit 1972 sämtliche Vermittlungsämter nicht nur zwischen den Ortsnetzen, sondern auch in der grenzüberschreitenden Telekommunikation vollautomatisch. Da waren in den Gestellreihen der Wählersäle aber bereits der Zeit angemessene EMD-Wähler verbaut (eine Siemens-Entwicklung, im Auftrag der Deutschen Bundespost). Erstmals in Deutschland wurden im Dezember 1967 in der Vermittlungsstelle Bad Canstatt (nördl. Stuttgart) -zunächst aber nur für 400 Teilnehmer- die elektromechanischen EMD-Wähler durch solche mit rein elektronischen Baugruppen (in TTL- und FET-Technik) der Firma AEG-Telefunken ersetzt.

 

Schon mit dem Beginn der automatischen Vermittlung und dem darauf folgenden gravierenden Anstieg der Teilnehmerzahl musste die Netzarchitektur hierarchisch aufgebaut werden:

Auslandsvermittlungsstelle     (AVSt)    -  Auslandskennziffer bei Bedarf voranstellen  

   

Zentralvermittlungsstelle       (ZVSt)     -  oberste Hierarchieebene und erste Ziffer der Ortsnetzkennzahl  (1 - 9) 

    

Hauptvermittlungsstelle         (HVSt)    -  zweite Hierarchieebene und zweite Ziffer der Ortsnetzkennzahl

Knotenvermittlungsstelle       (KVSt)     -  dritte Hierarchieebene und letzte Ziffern (bis zu drei) der Ortsnetzkennzahl

Ortsvermittlungsstelle            (OVSt)     -  unterste Hierarchieebene  -  Verbindung zum Endgerät  (expl. Rufnummer)

 

Privat betriebene Kleinanlagen fallen nicht unter die o.g. Hierarchie und werden, wie auch Fernsprecher, als 'Endgeräte' betrachtet.  

[Anmerkung:  Jede Fernverbindung bzw. Ortsnetzkennzahl beginnt mit der "Verkehrsausscheidungsziffer" 0, um zunächst aus der Ortsvermittlungsebene in die übergeordnete Fernvermittlungsebene zu wechseln. Auch in privaten Kleinanlagen wird in der Regel die 0 zur 'Amtsholung' verwendet.]

Die Hierarchieebenen waren jedoch nicht immer ein Dogma. War die Teilnehmerzahl in dem versorgten Bereich stark begrenzt, so konnte durchaus eine Ebene entfallen.

Die Gebührenerfassung und Beweisführung erfolgte in den Ortsvermittlungsstellen (OVSt), was meist durch das Abfotografieren standardisierter elektromechanischer Gebührenzähler geschah (siehe Foto). Alle o.g. Vermittlungsstellen sind aber heute in dieser Form nicht mehr existent. Nicht zuletzt aus Gründen des hohen Wartungsaufwandes analoger Anlagen und der ohnehin geplanten Vereinheitlichung der europäischen Fernmeldenetze entschied sich die Deutsche Bundespost in 1979 für den sukzessiven Umbau aller Vermittlungsstellen auf digitale (ISDN) Technik. Besonders in den neuen Bundesländern wurde nach der Wiedervereinigung 1990 dieser Prozess enorm beschleunigt. Im Dezember 1997 war er in ganz Deutschland weitestgehend abgeschlossen. Es gibt aber Abwärtskompatibilität. Sofern von älteren Endgeräten noch analoge Signale kommen, so werden diese zumeist im privaten Router vor Ort, spätestens aber in der OVSt, in einen digitalen Datenstrom gewandelt. 

Diese Maßnahmen waren schließlich auch unabdingbar für die Realisierung der für die Teilnehmer oft sehr hilfreichen Zusatzfunktionen sowie die Abkehr von der etwas träger agierenden hierarchischen zur heutigen vermaschten Netzarchitektur, wo jeder Netzknoten mit jedem anderen verbunden ist.

[Anmerkung:  Aus Gründen der Verbindungssicherheit arbeitet z.B. auch das Internet mit diesem Verfahren.]

Das Foto rechts zeigt eine schon in den 1920er Jahren von Friedrich Merk konstruierte und später u.a. von der Firma 'TN' gebaute Fallwählerbank, die auch in unserer Orts-vermittlung zu sehen ist. 

Das Foto links zeigt eines unserer Funktionsmodelle mit Edelmetallkontakt-Motor-Drehwählern (EMD). Diese Bauart wurde ab 1955 bei der Bundespost zum Standard.

 

 

 

 

Eine erneute Änderung bei der Telefonie (und damit auch das Ende vom öffentlichen ISDN) wurde bis zum Winter 2022 in Deutschland flächendeckend eingeführt. Was am Beginn der 1970er Jahre schleichend mit der ersten Sprachdigitalisierung begann, wurde durch die Spezifizierung des SIP-Protokolls (Session Initiation Protocol) im Jahre 1999 sowie dessen Erweiterung in 2002 manifestiert. Damit entstand die erste allgemeingültige softwaretechnische Beschreibung für die IP-Telefonie, insbesondere für deren Verbindungsaufbau, auf der Grundlage des inzwischen nahezu überall verfügbaren Internets, bekannt als "Voice-over-IP" (VoIP). Beim Teilnehmer bedeutete dies eine erneut verbesserte Sprachqualität sowie die Möglichkeit zur Nutzung weiterer Funktionen. Für die Telekommunikationsanbieter und deren Kunden konnte bei Einrichtung und Pflege nur noch eines einzigen Netzes eine langfristig nicht zu unterschätzende Kostenersparnis geschaffen werden.

In unseren Tagen arbeiten Vermittlungsstellen, hinter ihren vollelektronischen und meist leicht auswechselbaren 'Frontends', ausschließlich als Rechner-Netzwerke. Alle Vorgänge verlaufen extrem schnell, leise und unsichtbar. Ein paar Schränke, mit einer Vielzahl ähnlich aussehender, wenngleich hochkomplexer Module an denen bestenfalls einige Leuchtdioden blinken, werden beim Betrachten nur wenig Interesse hervorrufen. Im Wesentlichen endet daher die Zeitspanne unserer Ausstellung mit dem Abschluss der flächendeckenden Digitalisierung, die gegen Ende der 1990er Jahre erfolgt war.

 

Der Verbindungsaufbau mit Analogtechnik lässt sich bei unseren funktionsfähig installierten Anlagen und Funktionsmodellen nicht nur anschauen, sondern auch praktisch erproben. Unsere Kollegen führen Ihnen gern die unterschiedlichen Wählertypen einer analogen Vermittlungsstelle vor.

© Text und Bilder:  Bodo Krüger (2022/2023)



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